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20.

Jan 2013

~ND

Painted Faces

Als Freda, die von allen nur Fred genannt wird, an einem regnerischen Tag ihrem neuen Nachbarn Nicholas zum ersten Mal in die Arme läuft, ist sie nicht unbedingt in bester Verfassung. Sie hat sich gerade mit Tüten vollgepackt die Stufen zu ihrer Wohnung in Dublin hochgekämpft und ist bis auf die Knochen durchnässt. Gerne hätte sie einen besseren ersten Eindruck bei ihm hinterlassen, denn er ist nicht nur so ziemlich der schönste Mann, den sie jemals gesehen hat, er teilt auch noch Freds speziellen Sinn für Humor und die beiden verstehen sich auf Anhieb blendend.
Doch irgendwie hat Nicholas auch etwas Merkwürdiges an sich. Das liegt nicht nur an seinem bereits erwähnten sehr eigensinnigen Humor, sondern auch an seiner manchmal fast schon femininen Art. Als er Fred, ihre Mitbewohnerin Nora und ein paar weitere Freunde zu seiner Show in einem neuen Dubliner Club einlädt, wird auch etwas klarer, woher das kommt. Denn als Nicholas Auftritt beginnt, tritt nicht der gutaussehende Mann auf die Bühne, sondern die Drag Queen Vivica Blue.
Nach dem ersten Schock ist Fred aber nur noch begeisterter von ihrem neuen Nachbarn. Sie wundert sich allerdings etwas über seine sexuelle Orientierung, denn eigentlich hatte sie das Gefühl, dass er schamlos mit ihr flirtet. Als Nicholas ihr eine Stelle als seine Assistentin bei seinen Auftritten anbietet, stimmt sie schnell zu. Sie ist nicht nur von Nicholas selbst fasziniert, sondern von seiner ganzen Welt und das Geld kann sie ebenfalls gut gebrauchen.
Doch je näher Fred diesen einzigartigen und beeindruckenden Mann kennenlernt, umso mehr läuft sie Gefahr, ihm mit Haut und Haar zu verfallen. Und das bringt ganz neue Probleme mit sich.

Es ist mit absolut unbegreiflich, wieso Painted Faces von L. H. Cosway nicht bereits wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, dass mich von der ersten Seite an so in seinen Bann gezogen hat.
Fred ist einer der realistischsten, nahbarsten und schlicht sympathischsten Charaktere, der mir je untergekommen ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass absolut jeder irgendetwas in ihr findet, mit dem er sich identifizieren kann. Denn Fred ist eine völlig normale 25-jährige junge Frau. Sie ist ein wenig kräftiger gebaut und die daraus resultierenden (und vollkommen unnötigen) Komplexe bekämpft sie auf ihre ganz eigene Art, nämlich mit Humor. Fred ist erfrischend, witzig, ein bisschen schräg, ehrlich und mutig, denn sie lässt sich von niemandem etwas gefallen, was den perfekten Ausgleich zu ihren Unsicherheiten geschaffen hat.
Dass auch Nicholas ein ausgesprochen komplexer und beeindruckende Charakter ist, dürfte wohl klar sein. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, diesen vielschichtigen Charakter zu beschreiben. Gleich der Prolog ist ihm gewidmet. Dort erfährt man, wie es dazu kam, dass Nicholas gerne Frauenkleider trägt und der Entertainer geworden ist, der heute als Drag Queen auf der Bühne steht. Es wird allerdings auch ein extrem dunkles Kapitel in seinem Leben angedeutet, das ihn zu einem gebrochenen Mann gemacht und für immer verändert hat. Dementsprechend geht man als Leser, wenn man Nicholas dann gemeinsam mit Fred in der Gegenwart zum ersten Mal begegnet, auch ganz anders auf ihn zu und ist von Anfang an gespannt, was er noch zu bieten hat. Denn seine Vergangenheit hat Narben hinterlassen, die er auf teils sehr ungesunde Weise zu überdecken versucht.
In allererster Linie ist Painted Faces eine Liebesgeschichte. Deswegen darf ich ruhig schon verraten: Nicholas ist hetero. Und zwar voll und ganz. Vivica Blue ist seine Bühnenfigur, doch in seinem Schlafzimmer ist er nur Nicholas. Er hatte viele, viele Frauen und wenn es nach ihm geht, werden es noch einige mehr. Das heißt aber nicht, dass sein Alltagsleben komplett unberührt von seinem Alter Ego bleibt. Für Fred (es ist übrigens sicher kein Zufall, dass der weibliche Hauptcharakter dieser Geschichte einen Männernamen trägt) ist er zunächst ein Rätsel und für den Leser nicht weniger, denn es steckt so viel mehr in ihm, als in 99% der männlichen Charaktere, über die man sonst so liest. Er ist viel Mann, aber eben auch ein bisschen Frau.
Die Freundschaft, die zwischen Fred und Nicholas entsteht, ist zwar von Anfang an von einer sexuellen Spannung durchzogen, gleichzeitig aber auch sehr ehrlich und innig. Allerdings muss Freda sich auch fragen, wie sehr sie sich auf ihn einlassen kann, ohne verletzt zu werden. Denn auch wenn er hartnäckig versucht, Freda zu verführen (auf sehr direkte und ziemlich erotische Weise), scheint er unfähig sein, eine echte Beziehung einzugehen. Trotzdem ist es ein echter Genuss, zu erleben, wie sich ihre Freundschaft und Beziehung entwickelt.

Painted Faces von L. H. Cosway ist eine Geschichte über Liebe, Eifersucht, die schönen, aber auch die Schattenseiten des Lebens, über sexuelle Selbstentdeckung und die Tatsache, dass jeder Mensch anders ist und nicht immer in eine Schublade gepackt werden kann.
Painted Faces hält genau die richtige Balance aus ernster und leichter Unterhaltung. Das Buch hat mich ständig grinsen und oft laut auflachen lassen, mir aber auch mehr als einmal die Tränen in die Augen getrieben. Außerdem haben mir die Beschreibungen der vielen Besonderheiten von Dublin bzw. Irland und L. H. Cosways sehr individueller Musikgeschmack gefallen.
Ich hoffe wirklich, dass L. H. Cosway bald die Aufmerksamkeit zukommt, die sie meiner Meinung nach mehr als verdient hat. Ich jedenfalls werde ganz sicher weiterhin ein Auge auf sie haben und ihre bereits erschienenen Romane lesen.

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