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17.

Oct 2011

~nia

Wintergirls / Wintermädchen

Die vierzehnjährigen Freundinnen Lia und Cassie leisten in der Silvesternacht einen heiligen Schwur: sie wollen die dünnsten Mädchen an der Schule werden. Cassie versucht mit Fress- und Brechattacken zum Ziel zu kommen, Lia, indem sie ca. 500 Kalorien pro Tag zu sich nimmt. Diese Zahl entspricht noch nicht einmal einem Viertel des täglichen Kaloriebedarfs von 2.200 Kilokalorien eines Mädchens in diesem Alter.

Da Lia mit der Zeit ein ganzes Stück 'erfolgreicher' als Cassie ist, landet sie recht bald im New Seasons, einer Klinik für Essgestörte. Während ihres zweiten Aufenthalts kündigt Cassie ihr die Freundschaft und Lia fühlt sich immer nur schlechter und schlechter. Die inzwischen 18-jährige Lia musste ihr letztes Highschooljahr bislang ohne Cassie auskommen. Doch dann meldet sich Cassie in einer Samstagnacht per Telefon. Nicht einmal, zweimal oder dreimal, nein, ganze 33-mal ruft Cassie auf Lias Handy an - doch diese hat das Telefon irgendwann entnervt in die Ecke gepfeffert und auf lautlos gestellt. Und jetzt ist Cassie tot, alleine in einem Motel ist sie genau in dieser Nacht gestorben. Lia ist sich absolut sicher: sie ist Schuld an Cassies Tod. Wäre sie ans Telefon gegangen, wäre das alles nicht passiert.

Mit diesen Gedanken setzt sich eine unheilvolle Spirale in Gang: Lia fängt an, sich systematisch zu bestrafen: nicht nur mit Essensentzug, sondern auch mit Ritzen, mit Sporteinheiten bis ihr der ganze Körper wehtut und mit inneren Dämonen/Geistern/Stimmen, die sie einem Dauerfeuer von Beschimpfungen aussetzen. Cassies Stimme ist dabei die lauteste und präsenteste von allen.

Laurie Halse Andersons Roman Wintergirls / Wintermädchen liefert eine erschreckend realistische Innenansicht eines magersüchtigen Teenagermädchens und ihrer besten Freundin, der Bulimikerin. Beide fühlen sich schon lange ungeliebt, von den Eltern nicht beachtet und unverstanden. Schon vor dem heiligen Pakt, fängt Cassie an, Essen auszuspucken und Lia, die Kalorien zu zählen. Doch mit der Pubertät werden die Probleme größer und der Drang, diesen durch diese seltsame Form von 'Kontrolle' davonzulaufen auch. Mit Cassies Tod und dem neuen Berg Schuldgefühlen, nimmt Lias Erkrankung dann wirklich gespenstische Züge an und der Leser begleitet sie auf eine innere und äußere Irrfahrt, die sich immer weiter steigert. Erst ganz zum Schluss erkennt Lia, was die Ursache ihrer Probleme ist und dass sie doch am Leben hängt und so zieht sie buchstäblich in letzter Sekunde die Notbremse. Dass ist eigentlich auch der einzige Kritikpunkt, den ich an dem Buch habe – ich hätte mir mehr Beschreibungen von Lias Kampf zurück in die Wirklichkeit, weg von einem 'Wintermädchen' in ein sogenanntes normales Leben gewünscht.

Laurie Halse Anderson beschreibt in Wintergirls / Wintermädchen den physischen und psychischen Verfall einer Magersüchtigen sehr eindringlich, da der Leser Lias Leben direkt miterlebt. Dennoch wird die Krankheit Magersucht in all ihren Auswüchsen dargestellt: Es gibt die eingenähten Geldstücke im Bademantel, die Internetforen, in denen sich die Mädchen gegenseitig zu verlorenen Pfunden gratulieren, die manipulierte Waage, der Versuch Essen in der Serviette vom Tisch zu schmuggeln und Ausreden über Ausreden, warum man gerade jetzt einfach nichts essen kann. Der Schreibstil der Autorin ist oft rau und erst einmal gewöhnungsbedürftig. Es lohnt sich aber, sich darin einzufinden und Lia auf ihrem Weg zu begleiten. Der Humor, der in ihrem Werk Speak / Sprich doch immer wieder aufblitzt, ist in Wintergirls / Wintermädchen allerdings kaum zu finden.

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